30 Jahre FIS Skisprung Weltcup Willingen
04.Oktober 2024

30 Jahre FIS Skisprung Weltcup Willingen

04
Oktober
Erstellt von Dieter Schütz - Weltcup-Pressechef
Kategorie: Weltcup-News, Skispringen
2024
04 .Oktober 2024
Kategorie: Weltcup-News, Skispringen
Erstellt von Dieter Schütz - Weltcup-Pressechef

Von den Mühlenkopf-Siegern Goldberger bis Wellinger:
FIS Skisprung Weltcup in Willingen feiert 30jähriges Jubiläum

Von den Mühlenkopf-Siegern Goldberger bis Wellinger:
FIS Skisprung Weltcup in Willingen feiert 30jähriges Jubiläum

8. Januar 1995, Mühlenkopfschanze in Willingen. Der Österreicher Andreas Goldberger holt sich bei der Premiere des FIS Skisprung Weltcups den Sieg mit Sprüngen auf 125 und 126,5 Metern. Damals war nicht absehbar, welche Geschichte der Ski-Club Willingen mit seiner internationalen Skisprungveranstaltung schreiben würde. Für den Sieg musste sich der „Goldi“, wie der damals 22-Jährige Sympathieträger von seinen vielen Fans bis heute liebevoll genannt wird, am Mühlenkopf mächtig ins Zeug legen. Wer heute auf der Mühlenkopfschanze nach ihrem Umbau im Jahr 2000 zur größten Großschanze der Welt auf diese Weiten kommt, wird es kaum ins Finale schaffen. Der Rekord liegt mittlerweile bei fantastischen 155,5 bei den Herren (Johann Andre Forfang/Norwegen) sowie 151,5 Meter bei den Damen (Nika Krizna/Slowenien). Die besten Skispringerinnen gehen seit dem Jahr 2022 über den Bakken der Mühlenkopfschanze mit einer Hillsize von 147 Metern.

Zu Zeiten des Weltcup-Startschusses in Willingen war das Skispringen noch eine echte Lotterie. Wer mit sattem Aufwind Glück hatte, war der Konkurrenz schnell um Längen voraus, denn Wind- und Gate-Bonuspunkte gab es damals noch nicht. Allein die Weite und die Wertung der Punktrichter bestimmten das Resultat. Erster Weltcuppressechef war 1995 Werner Rabe, von dessen umfangreichen Netzwerk der SC Willingen bis heute profitiert. Der langjährige Sportchef des Bayerischen Rundfunks begrüßte seine Kolleginnen und Kollegen vor drei Jahrzehnten in einem umfunktionierten Linienbus, der zehn Arbeitsplätze bot. Als Weltcuppressechef folgten Thomas Behle und Dieter Schütz, der das Amt heut noch ausführt. OK-Chef war von 1995 bis 2008 (außer 2006) Ernst Chrsitan Trögeler. Jürgen Hensel übernahm das Amt und hat in der Zwischenzeit 17 Jahre als OK-Chef  den FIS Skisprung Weltcup in Willingen federführend begleitet.

Ein Zuschauermagnet war der Weltcup in Willingen von Beginn an. Bis zu 90.000 begeisterte Skisprung-Fans pilgerten an einem Wochenende an die Mühlenkopfschanze, um die weltbesten „Adler“ durch die Luft fliegen zu sehen. Als Veranstalter hat sich der Ski-Club Willingen von Beginn an einen Namen gemacht, denn nach den Austragungen im Zweijahresrhythmus 1995, 1997 und 1999 findet der Kult-Weltcup im Sauerland seit 2000 bis heute ohne Unterbrechung jährlich statt. Mehrfach haben die „Free Willis“, wie die vielen freiwilligen Helfer gern selbst nennen, sogar drei Weltcup-Veranstaltungen an einem Wochenende durchgeführt. Die Anforderungen des Internationalen Skiverbandes (FIS) sind in all den Jahren rasant gestiegen, der SC Willingen hat all das erfüllt und darüber hinaus Maßstäbe gesetzt.

Fördern und fordern war in all den Jahren auch die Maxime von Skisprung-Renndirektor Dr. Walter Hofer. Der Österreicher, der seit 1992 über 28 Jahre im Amt war, hat großen Anteil an der Entwicklung der faszinierenden Outdoor-Sportart zum Medienevent mit herausragenden Einschaltquoten bei den Live-Übertragungen. Und auch vor Ort ist der FIS Skisprung Weltcup in Willingen ein Zuschauermagnet geblieben. Auch wenn die maximale Zuschauerkapazität des Stadions aus Sicherheitsgründen auf 23.500 Zuschauerplätze reduziert wurde, meldet der SC Willingen als Top-Veranstalter am Samstag beim Weltcup regelmäßig ein „ausverkauftes Haus.“ 2020 verabschiedete sich Dr. Hofer in den verdienten Ruhestand, ihm folgte der Italiener Sandro Pertile, der ebenfalls kollegiale und freundschaftliche Verbindungen insbesondere zu Ski-Club-Präsident und Weltcup OK-Chef Jürgen Hensel unterhält.

Unvergessen in Willingen sind die Glanzzeiten mit den deutschen Vorzeigespringern Sven Hannawald und Martin Schmitt, die insbesondere die jungen weiblichen Fans als „Pop-Stars des Skispringens“ verzückten. Schon Stunden vor Beginn der Veranstaltungen sicherten sie sich nach Einlass ins Weltcup-Stadion die besten Plätze in der ersten Reihe hinter dem Absperrgitter und verließen diese über den ganzen Tag nicht mehr. Warum die jungen Damen nie zur Toilette mussten, offenbarte eine der Idol-Jägerinnen einmal ganz spontan und unverblümt an einem TV-Mikrofon: „Ich habe eine Windel um, das passt schon.“

Viele schöne Geschichten hat die Historie des Willinger Weltcups geschrieben, sie reichen ganz sicher, um darüber ein Buch mit vielen Kapiteln zu schreiben. Aus der Sicht des SC Willingen und seiner „Free Willis“ bleibt der 7. Februar 2020 unvergesslich. Lokalmatador Stephan Leyhe, der seit Kindesbeinen als gebürtiger Schwalefelder für seinen Heimatverein an den Start geht, schaffte das bis dato nicht für möglich Gehaltene: Als Zweiter nach dem 1. Wertungsdurchgang segelte der Olympia- und WM-Medaillen-Gewinner im Finale soweit ins Tal wie kein anderer und schnappte Skisprung-König Kamil Stoch den Sieg weg. Der Jubel im weiten Rund kannte keine Grenzen, als der Triumph feststand. Alle gönnten diesen unglaublichen Weltcup-Sieg dem sympathischen Sportler, dessen Fans das aus heimischer Sicht als „Ausnahmeereignis“ empfundene Ergebnis mit Stephan Leyhe auf dem obersten Platz des Siegerpodestes bis tief in die Nacht feierten. Hätte Leyhe geahnt, dass der Weltcup am Tag danach dem starken Sturm zum Opfer fallen würde, hätte er ganz sicher im Elternhaus in Schwalefeld mit Vater Volker, Mutter Renate und vielen glücklichen Stephan-Fans mitgefeiert. Auch die abgespeckte Gesamtwertung „Willingen5“ ging somit an Stephan Leyhe. Dieser 7. Februar 2020 ist und bleibt für immer ein besonderer Tag, den man aus Sicht des Ski-Clubs nicht besser hätte inszenieren können. Die deutsche Nationalhymne für den Willinger Weltcup-Sieger Stephan Leyhe – ein echter Gänsehautmoment.

Der Wettergott hat den Willingen in diesen vielen Jahren nahezu alles präsentiert, von zu viel und zu wenig Schnee, der über die leistungsstarken Schneekanonen kompensiert wurde, bis hin zu Sonne, Wind und Regen. Da die Mühlenkopfschanze insgesamt nur wenig windanfällig ist, mussten aber erst zwei Weltcup-Konkurrenzen wetterbedingt ausfallen. Das war im Jahre 2013 am Sonntag der Fall und ebenso 2020. Somit kann man bei so vielen erfolgreich organisierten und absolvierten Weltcup-Wettbewerben durchaus behaupten, dass Petrus den Willingern hold war und die vielen Mühen belohnt hat.

Auch die gemeinsam ausgetragene FIS Team Tour von 2009 bis 2013 hat mit den deutschen Austragungsorten Oberstdorf, Klingenthal und Willingen Zeichen gesetzt. Es ist gelungen, das Skispringen mit dem Skifliegen in einer Gesamtwertung zu verknüpfen, wobei sich Oberstdorf mit der Heini-Klopfer-Skiflugschanze und Willingen mit der Mühlenkopfschanze als Start- bzw. Abschlusswettkampf abgewechselt haben. Klingenthal mit der Vogtland Arena war unter der Woche als dritter Austragungsort der FIS Team Tour eine Konstante. Bis heute sind diese drei Orte neben den Skisprungfreunden aus Titisee-Neustadt die festen deutschen Veranstalter im Weltcupkalender.

Unvergessen bleibt der Sieg von Sven Hannwald 2002 auf der Mühlenkopfschanze. Nachdem „Hanni“, der heute wie auch Martin Schmitt und Andreas Goldberger erfolgreich als TV-Experte unterwegs ist, als erster Skispringer überhaupt der „Grand Slam“ (Siege auf allen Schanzen der Vierschanzentournee in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und
Bischofshofen) gelungen war, krönte er sich auch noch zum Weltcup-Sieger eine Woche später in Willingen. Die Medien sprachen seinerzeit vom „Golden Slam.“

Auch in der Statistik tauchen nach all den Jahren des Weltcups in Willingen viele interessante Zahlen, Daten, Fakten auf. So gibt es bei den Herren insgesamt 24 Einzelsieger. Am erfolgreichsten waren die Norweger mit elf Erfolgen, wobei in deren Reihen Halvor Egner Granerud mit vier Siegen heraussticht. Dreimal ganz oben stand Janne Ahonen (2000, 2004, 2005). Mit 152 Metern im Jahre 2005 hielt die finnische Skisprunglegende lange den Mühlenkopf-Schanzenrekord, der 2014 von Jurij Tepes aus Slowenien egalisiert wurde. Klemens Muranka aus Polen sprang in der Qualifikation 2021 sogar noch einen Meter weiter auf 153 Meter – wieder ein Schanzenrekord.

Ebenfalls dreimal die Nase vorn hatte das japanische Skisprung-Urgestein Noriaki Kasai (2x 1999, 2003), der nach seinem Weltcup—Comeback in der vergangenen Saison 2023/2024 mit seinem 571. Weltcupstart einen Rekord für die Ewigkeit aufstellte. Der 51-Jährige denkt noch lange nichts ans Aufhören, er hofft auf eine weitere Olympia-Teilnahme 2026. Außergewöhnliche Bilder waren es auch, als Noriaki Kasai nach dem Weltcup-Sieg einen Bademantel mit seinem eingestickten Namen geschenkt bekam, den er spontan anzog, um ihn den Tausenden von Fans zu präsentieren. Zweimal siegreich in Willingen waren für Norwegen Johann Andre Forfang (2018, 2024), die deutschen Top-Springer Sven Hannawald (2002, 2003), Severin Freund (2011, 2015) und Andreas Wellinger (2017, 2024) sowie für Österreich, Japan und Polen der Weltcup-Rekordsieger (53 Tagessiege) Gregor Schlierenzauer (2009, 2010), Ryoyu Kobayashi (2019, 2022) und Kamil Stoch (2x 2014). Erstaunlich ist, dass die Top-Athleten Martin Schmitt, Vierfach-Olympiasieger Simon Ammann aus der Schweiz und der österreichische Vorzeigespringer und letztjährige Weltcup-Gesamtsieger Stefan Kraft nie in Willingen gewinnen konnten. Vielleicht hat sich der „Krafti“ den Sieg ja für das 30-jährige Weltcup-Jubiläum in Willingen 2025 aufgehoben.

Bei den Damen hat es seit dem Start in Willingen noch keine Sportlerin zweimal auf den obersten Platz auf dem „Stockerl“ geschafft, wie die Österreicher diesen begehrten Ort nennen. Thema war das in unserem Nachbarland beim Erfolg von Marita Kramer (2022) und Jaqueline Seifriedsberger (2024). Die weiteren Siegerinnen waren Yuki Ito/Japan (2023), Nika Kriznar/Slowenien (2022), Katharina Althaus (heute Schmid)/Deutschland (2023) und Silje Opseth/Norwegen (2024). Auch Teamspringen gab es etliche in Willingen, die häufig an Spannung kaum zu überbieten waren. Den ersten und bis dato einzigen Sieg sicherte sich 1999 Japan. Als erfolgreichste Nation mit vier Team-Siegen ist Österreich (2002, 2007, 2009, 2011) zu nennen. Norwegen (2004, 2008, 2012) und Deutschland (2005, 2010, 2016) triumphierten dreimal. Finnland (2001, 2006), Slowenien (2013, 2015) und Polen (2017, 2019) brachten die eigenen Fans zweimal zum Jubeln. Im zweimal ausgetragenen Mixed-Wettkampf mit zwei Damen und zwei Herren siegten Slowenien (2022) und Norwegen (2023).

Nun steht nach all den vielen Ereignissen und herausragenden Weltcup-Veranstaltungen die „magische Dreißig“ im Raum. Vom 31. Januar bis 2. Februar 2025 jährt sich der FIS Skisprung Weltcup zum 30. Mal. Der Ski-Club Willingen hat dazu in den Vereinsfarben blau, gelb und weiß einen Jubiläums-Aufkleber kreiert, der die farbenfrohe Liste der jährlichen Weltcup-Aufkleber fortsetzt.

In all den Jahren hat sich eines nicht verändert: Im Upland gilt der ehrenamtliche Einsatz für den Weltcup an der Mühlenkopfschanze generationsübergreifend als große Ehre, in der Ski-Club-Familie dabei sein zu dürfen. Viele von denen, die schon 1995 dabei waren, sind es auch heute noch. Viele neue Gesichter sind über die Jahre dazugekommen, die den Teamgeist in die Wiege gelegt bekommen haben und ihn bewusst leben. Der Ski-Club als in 2025 dann 115 Jahre alter Traditionsverein hat in seiner Führungsriege viele Gesichter und Stimmen. Aber die Seele des Ski-Club Willingen bleiben die „Free Willis“, die den FIS Skisprung Weltcup zu etwas Einzigartigem gemacht haben.