Weltcup-Splitter 29.1.2021
„Geisterspringen“ statt „Weltcup-Wahnsinn“
Regisseur Thomas Strobl versucht alles, damit der Funke auch auf dem Sofa überspringt – Neue Rekordquote für Willingen?
Als für Stephan Leyhe und seine vielen Fans das Märchen vom ersten Weltcupsieg auf seiner „Heimschanze“ in Willingen wahr geworden war, zog selbst Regisseur Thomas Strobl tief beeindruckt („Ich musste sogar aufstehen im Ü-Wagen“) symbolisch seinen Hut vor dem Lokalmatador und den rund 1.400 „Free Willis“, die dieses Topereignis ermöglicht hatten. Über zehn Millionen TV-Zuschauer in aller Welt waren live und zeitversetzt dabei. Mit 30 Kameras inklusive einer ebenso innovativen wie spektakulären Seilkamera übertrugen Strobl und sein rund 120 köpfiges Team die spannungsgeladenen Bilder von der größten Großschanze der Welt auf allen Ausspielwegen in alle Wohnstuben oder wo immer auch die Fans in über 20 Ländern eingeschaltet oder das Spektakel abgerufen hatten.
Strobl ist ein Meister seines Faches. Ihm gelingt es nicht nur den zehn sekündigen Skisprung aufzulösen und optisch in Szene zu setzen. Er rückt auch die Geschichten dahinter, die Reaktionen der Trainer auf dem Turm, der normalerweise an den drei Tagen rund 35.000 Zuschauer mit ihren Transparenten und Fähnchen ins rechte Licht, vermittelt technische Feinheiten, aber vor allem Emotionen und wie er selbst gerne sagt, unvergessliche Bilder am laufenden Band. Manchmal gerät er sabei selbber ins Schwärmen.
Die Sportler stehen dennoch im Mittelpunkt, aber alle anderen Beteiligten sind für ihn mehr als nur einfache Statisten. Begeisterung, Freude, Trauer, Entsetzen rückt der international bekannte Regisseur bei Weltmeisterschaften und anderen Topereignissen in vielen anderen Sportarten oder bei Studiosendungen ins rechte Licht. Unterstützt von einer meist eingespielten Crew, die Strobl , der den Wettkampf dank seiner Erfahrung lesen kann, aber dennoch jeden Morgen aufs Neue wieder auf ihren Job und seine Wünsche und Pläne wie ein Dirigent einstimmt.
Dickes Lob von allen Seiten für seine Arbeit ist er gewohnt. In der Saison 2020/21 stellen den engagierten Regisseur die „Geisterspringen“ ohne Publikum vor eine neue Herausforderungen. Die meisten Perspektiven muss er aus seiner Sicht „eng und nah fahren, damit die Tristess des leeren Stadions die Übertragung nicht zu negativ beeinflusst“. Neben der gewohnten akkustischen Untermalung durch die bewährten Schanzensprecher und DJs um Gunnar Puk und Jürgen Bangert setzt er auf den Werbemittelaufbau, „der uns die leeren Tribünen überbaut oder zumacht, damit sie nicht so störend wirken.“ Die Tribünen waren nach dem letzten Weltcup auch wegen Corona und weil sie nirgendwo anders gebraucht wurden, im Auslauf stehen geblieben. Wer konnte schon wissen, das 2021 nur die „Geister“ und die Kameras zuschauen werden.
Strobl wäre nicht Strobl wenn er sich von Corona völlig ausbremsen lassen würde. „Schon in Garmisch habe ich für die ARD etwas geschaffen, was sich in Willingen weiter bewähren soll.“ Der Juryfunk zwischen dem neuen Weltcup-Direktor Sandro Pertile und seinem verlängerten Arm Borek Sedlak im Kampfrichterturm ist zu hören und bringt dem Zuschauer zuhause ein neues Spannungsmoment, so Strobl, wenn es um Wetter, Unterbrechungen, Wartezeiten und evtl auch Disqualifikationen von Springern geht. „Hier habe ich ein dezidiertes Funkgerät zwischen den beiden installiert. Über diesen Funkverkehr ist der Zuschauer ganz nah dabei und erlebt die Entscheidungsebene direkt live mit. Die beiden sind rasch im Bild und es wird mit einer Grafik unterstützt. ARD-Kommentator Tom Bartels war auch ganz begeistert“, berichtet der Regisseur. Mittendrin statt nur dabei, heißt die Devise.
Das zweite neue Element in Willingen ist eine zweite Kamera neben der Führungskamera auf dem Juryturm. „Von dieser Perspektive erwarte ich mir, dass ich sehen kann, wie der Athlet auf dem Luftpolster liegt - und das genau von der Seite mit quasi 90 Grad auf Augenhöhe. Gleich nach dem Absprung möchte ich hier ausar beiten, wie bedingungslos sich der Sportler auf dieses vermeintliche Luftkissen schmeißt und sich davon nach unten tragen lässt, wie sehr der Sportler sich mit Körperspannung nach vorne durch die sogenannte „Rotationsbewegung“ begibt und wie nah der Athlet mit dem Helm an den Skispitzen oder sogar manchmal mit dem Kopf noch tiefer ist“, sieht Strobl seine Bilder schon vor sich und möchte sie dem Zuseher nicht vorenthalten.
Die bisherigen „Geisterspringen“ während Corona hatten tolle Einschaltquoten. Das Neujahrsskispringen in Garmisch allein fast acht Millionen – so viel, wie der Rekord am Mühlenkopf zu RTL-Zeiten mit Schmitt und Hannawald. Diesmal findet der berühmt, berüchtigte Willinger Weltcup-Wahnsinn ohne Party-Gäste und daheim vor dem Bildschirm statt. Thomas Strobl tut alles, damit der Funke dennoch auch auf dem heimischen Sofa für die treuen und neuen Fans überspringt.